Einhorn

Like every other story teller, I just fail to ignore the call of untold stories, so I narrate...

Monday, February 11, 2008

Die Träumerin - Teil 1

Wir waren eigentlich nur eine komische WG. Wir fühlten uns einsam und hatten den Alltag satt. Aus diesem Grund wollten wir mit anderen Menschen zusammen - eher leben als - wohnen, die wir nicht gut kannten und nicht lieb hatten - und die uns deshalb nicht weh tun konnten - aber die imstande waren, uns nicht unbedingt zu verstehen aber trotzdem zu respektieren. Wir wollten einfach von der Welt draußen abschalten können.

In unserer ziemlich großen WG galten heilige Regeln, die auf keinen Fall zu missachten waren.
  • Keiner durfte ein eigenes Zimmer haben.
  • Keiner durfte anderswo übernachten, ohne einem von uns Bescheid zu geben wo.
  • Keiner durfte Wertsachen zu Hause bewahren.
  • Mittwochs waren Haustage: Wir kümmerten uns um das, was zu tun war und zum Abend wurde zusammen gegessen.
  • Die Pflanzen mussten regelmäßig gepflegt werden.
  • In der Küche wurde nicht geraucht.
  • Keine Krankheit sollte verheimlicht oder unterschätzt werden.
  • Keine Glauben oder Ideologien wurden unter Frage gestellt und keine Diskussion über solche Themen durfte geführt werden.

Wir glaubten, durch diese Regeln uns zu beschützten. Dieser Glauben zufolge sollten die Regeln Gefühle, Leidenschaften und Intuitionen überlegen.

Unter anderem glaubten wir alle fest an das, was uns zuerst zusammenbrachte: Theater. Wir waren alle Theaterfanatiker die auf der Pop-Bühne keinen Platz gefunden hatten. Dienstags, Donnerstags und Freitags am Nachmittag wurde geübt. Alle 11 Einwohner unserer WG waren zur Teilnahme verpflichtet. Zu jedem Stück wurde zwar einen Regisseur neu gewählt, aber jeder Regisseur konnte bei jeder neuen Entscheidung durch mehr als 70% der Stimmen abgestimmt werden.

Unter uns galt Gisela als eine normale Person. Manchmal konnte man nicht fassen, warum sie die Welt draußen verlassen mochte, um mit uns zu bleiben. Sie wurde oft für oberflächlich oder ahnungslos gehalten. Dies war sowohl aufgrund Kleinigkeiten wie die Pop-Musik, die sie hörte oder ihre Geschmacklosigkeit für Kleidung, aber als auch weil es uns bewusst war, dass sie sich nie die Gedanken machte, die uns fast jeden Tag quälten. Wir waren davon überzeugt, dass sie eher auf der Suche nach dem Sinn ihres banalen Lebens mit uns war und nicht auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, wie die meisten von uns.

Vielleicht hatte es uns gestört, wie ungestört sie ihren Blick der Zukunft widmete anstatt der Vergangenheit und der gegenwärtigen verdorbenen Menschheit.

Nichts an ihr erregte Aufmerksamkeit mit der Ausnahme von ihren Tarumphasen. Jedes mal, wenn sie von einem Traum besessen war, wurde sie dadurch kreativer, lebendiger, schöner und strahlte dann vor einer unbekannten Art Lebensenergie, die sie schöner erscheinen ließ.

Sollte Gisela in den Traumphasen für die Pflanzen zuständig sein, hätte sie sich stundenlang Zeit genommen, für sie gesungen und jeden mit extremer Vorsicht behandelt. Hätte sie kochen müssen, hätte es exotisch aber fabelhaft geschmeckt. Sollte einer der Kerle zu dieser Zeit schlafen, hatte er eine Woche voller bezaubernden Träume und sang die schönsten und atemberaubendsten Lieder. Eleonore hielt es immer für unverschämt und wurde sauer auf jeden Kerl in der WG; da sie meinte, die Kerle nutzten Gisela aus, um an kleines bisschen ihrer Träume ranzukommen. Gisela jedoch wurde in ihren Traumphasen unglaublich gutherzig und großzügig. Sie schien einfach aus einer anderen Erde zu sein, wo List und Lüge keine Synonyme fanden.

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